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18. November 2024Lesedauer 3 Minuten

Observierung von Arbeitnehmern als unzulässige Verarbeitung von Gesundheitsdaten

Es kommt vor, dass Arbeitnehmer sich krankmelden und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen, obwohl sie tatsächlich nicht arbeitsunfähig erkrankt sind. Vermutet der Arbeitgeber eine solche vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit, hat er aufgrund seiner Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ein Interesse daran, seinem Verdacht nachzugehen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich kürzlich mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer überwachen lassen darf, um diesen Verdacht zu überprüfen (Urteil vom 25. Juli 2024 – 8 AZR 225/23).

 

Sachverhalt

Der klagende Arbeitnehmer meldete sich nach der Verlegung seines Arbeitsplatzes in eine andere Stadt immer häufiger arbeitsunfähig und legte hierfür ärztliche Bescheinigungen vor. Die Arbeitgeberin vermutete, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit vortäuschte, und beauftragte eine Detektei mit seiner heimlichen Observierung. Diese dokumentierte über mehrere Tage den sichtbaren Gesundheitszustand des Arbeitnehmers in seiner privaten Umgebung. Als der Arbeitnehmer von der Überwachung erfuhr, klagte er auf Entschädigung und berief sich auf einen Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

 

Entscheidung des BAG

Das BAG bestätigte die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, in welcher die Arbeitgeberin zur Zahlung von 1.500 Euro immateriellen Schadensersatzes verurteilt wurde, und stellte einen Verstoß gegen die DSGVO fest. Das Gericht entschied, dass es sich bei der Dokumentation des sichtbaren Gesundheitszustandes eines Arbeitnehmers um Gesundheitsdaten im Sinne der DSGVO handele, deren Erhebung und Verarbeitung ohne Einwilligung grundsätzlich verboten seien. Eine Ausnahme bestehe nur, wenn die Datenverarbeitung zur Ausübung von Rechten oder zur Erfüllung rechtlicher Pflichten u.a. aus dem Arbeitsrecht erforderlich gewesen sei, was das BAG im entschiedenen Fall verneinte.

Eine Observierung sei nur gerechtfertigt, wenn bereits ein Verdacht auf Vortäuschung der Arbeitsunfähigkeit bestehe. Liege eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, müsse deren Beweiswert zunächst erschüttert werden. Die Arbeitgeberin müsse dazu konkrete Umstände vortragen, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers und damit an der Richtigkeit der Bescheinigung begründeten. Selbst wenn der Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sei, müsse jedoch zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit zunächst eine Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse veranlasst werden, sofern dies möglich sei und objektiv eine Klärung erwarten lasse.

Abschließend stellte das BAG fest, dass der Arbeitnehmer durch die heimliche Observierung einen immateriellen Schaden erlitten habe, der von der Arbeitgeberin auszugleichen sei. Der Schaden liege in dem Gefühl des Kontrollverlustes und der daraus resultierenden Befürchtung weiterer Überwachung.

 

Praxishinweis

Das BAG hält fest, dass die Observierung von Arbeitnehmern zur Feststellung einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit eine Verarbeitung von Gesundheitsdaten darstellt, die nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig ist.

Arbeitgeber, die einen entsprechenden Verdacht hegen, sollten daher die konkreten Verdachtsmomente umfassend und nachvollziehbar dokumentieren. Die Dokumentation sollte alle relevanten Informationen enthalten, die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen, z.B. Unstimmigkeiten bei Krankmeldungen oder auffällige Fehlzeiten (§ 275 Abs. 1a S. 1 SGB V)1. Nicht ausreichend sind hingegen bloße Vermutungen.

In jedem Fall sollte vorranging eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen eingeholt werden. Eine Überwachung des Arbeitnehmers ist nur als letztes Mittel in Betracht zu ziehen, wenn alle anderen Klärungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Dabei sollten sich Arbeitgeber der Risiken bewusst sein, die mit einer unzulässigen Überwachung verbunden sind, insbesondere im Hinblick auf mögliche Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers, die Verhängung eines Bußgeldes sowie mögliche Reputationsschäden.


Der Arbeitgeber ist nicht auf die Regelbeispiele gem. § 275 Abs. 1a S. 1 SGB V beschränkt. Dort ist normiert, dass Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit insbesondere in Fällen anzunehmen sind, in denen (a) Versicherte auffällig häufig oder auffällig häufig nur für kurze Dauer arbeitsunfähig sind oder der Beginn der Arbeitsunfähigkeit häufig auf einen Arbeitstag am Beginn oder am Ende einer Woche fällt oder (b) die Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt festgestellt worden ist, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist.