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23. Juli 2024Lesedauer 3 Minuten

Entgeltgleichheit: Hohe Anforderungen an die arbeitgeberseitige Widerlegung einer vermuteten Benachteiligung wegen des Geschlechts

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG) war mit einer Klage auf höhere Vergütung nach dem Entgelttransparenzgesetz befasst (Urteil vom 19. Juni 2024, 4 Sa 26/23). Das LAG stellt klar, dass eine Widerlegung der vermuteten Benachteiligung nur gelingen könne, sofern das Gericht die Kriterien für das unterschiedliche Entgelt nachvollziehen könne. Ermöglicht der Vortrag des Arbeitgebers keine wirksame Kontrolle und Nachprüfung der Differenzierungskriterien, geht dies zu seinen Lasten.

 

Sachverhalt

Die klagende Arbeitnehmerin machte unter anderem einen Anspruch gegen ihre Arbeitgeberin auf Entgeltgleichbehandlung geltend. Sie brachte vor, dass sie eine geringere Bezahlung als die mit ihr vergleichbaren männlichen Kollegen erhalten habe. Die von der Klägerin herangezogene Vergleichsgruppe entsprach der von der Beklagten selbst gebildeten und in das Entgelttransparenzdashboard eingestellten Vergleichsgruppe. Die Beklagte berief sich im Hinblick auf die höhere Vergütung der männlichen Kollegen auf deren Lebensalter und längere Berufserfahrung sowie auf den Umstand, dass die Klägerin unterdurchschnittlich performt hätte. Sie stellte jedoch nicht dar, wie diese Vergütungskriterien im Einzelnen bewertet und zueinander gewichtet wurden.

 

Rechtliche Grundsätze

Anspruchsgrundlage für die Entgeltgleichbehandlung ist §§ 3 Abs. 1 und 7 Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) 1. Diese Normen statuieren das Verbot eines geringeren Entgelts für gleiche oder gleichwertige Arbeit aufgrund des Geschlechts. Gleiche und gleichwertige Arbeit sind in § 4 EntgTranspG definiert. Besondere Bedeutung im Rechtsstreit um gleiches Entgelt hat § 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG): Wenn eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes (hier des Geschlechts) vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Besteht also die Vermutung einer Benachteiligung, muss der Arbeitgeber für die Widerlegung dieser Vernutung darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben.

 

Entscheidung des Gerichts

Das LAG hat den Anspruch auf Entgeltgleichbehandlung bejaht. Das Indiz für die Ungleichbehandlung lässt sich aus den Angaben des von der Arbeitgeberin selbst erstellten Entgelttransparenzdashboards entnehmen. Demnach wird die Klägerin geringer vergütet als die männlichen Kollegen ihrer – von der Arbeitgeberin gebildeten – Vergleichsgruppe. Die Beklagte konnte die Vermutung der Benachteiligung wegen des Geschlechts nicht widerlegen. Sie habe zwar vorgetragen, dass sich die unterschiedliche Behandlung aufgrund der abweichenden Arbeitsqualität sowie Unterschieden in Berufserfahrung und Betriebszugehörigkeit ergebe. Allerdings habe sie versäumt darzustellen, wie diese Kriterien im Einzelnen bewertet wurden und wie sie zueinander gewichtet worden seien.

 

Praxishinweis

Die Anforderungen des LAGs an die Widerlegung durch den Arbeitgeber entsprechen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Um die vermutete Benachteiligung zu widerlegen, muss der Arbeitgeber vortragen (sowie im Streitfall beweisen), dass die verwendeten Differenzierungskriterien diskriminierungsfrei gewichtet und insgesamt transparent sind. Der Vortrag muss eine wirksame Kontrolle und Nachprüfung durch die Gerichte ermöglichen. Gelingt dies nicht, geht dies Lasten des Arbeitgebers.

Das Urteil macht deutlich, dass die Behauptung an sich geeigneter Gründe – wie etwa die längere Betriebszugehörigkeit – alleine nicht ausreichen, um eine unterschiedliche Behandlung zu rechtfertigen. Es kommt darauf an, die Gehaltsentscheidung mittels ausschließlich diskriminierungsfreier und transparenter Kriterien zu treffen und dies nachweisen zu können. Im Streitfall muss das Gericht in der Lage sein, die Bewertung und Gewichtung der Kriterien untereinander nachzuvollziehen. An diesen Maßstäben müssen sich daher Vergütungssysteme sowie individuelle Gehaltsentscheidungen messen lassen.


1 BAG, Urteil v. 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19.