Die Digitalisierung der Betriebsratsarbeit: Ferne Zukunft oder bald schon Realität?
Update 23. April 2024: Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts treibt Digitalisierung voranDie Digitalisierung ist schon längst in der Arbeitswelt angekommen. Und doch zeigt sich insbesondere das deutsche Betriebsverfassungsrecht eher zurückhaltend hinsichtlich der Einführung digitaler Optionen bei der Betriebsratsarbeit. Nun gibt es Bewegung in der Diskussion um die Digitalisierung der Arbeit des Betriebsrats.
ANALOGE REALITÄT STATT DIGITALEM FORTSCHRITT
Während es in der Zeit der Corona-Pandemie für die Arbeit der Betriebsräte die Möglichkeit bzw. das Erfordernis gab, auf digitale Modelle umzusteigen, etwa bei der Abhaltung von Betriebs- und Betriebsratsversammlungen, dominiert nach dem Ende der Pandemie wieder eine analoge Betriebsratsarbeit: Ausdrucke von Bewerberunterlagen auf Papier, Betriebsratsversammlungen vor Ort und Betriebsratswahlen in Präsenz; all das gehört zum Alltag der Betriebsratsarbeit in Deutschland und erschwert diese Arbeit oftmals sowohl auf Seiten des Betriebsrats als auch auf Seiten des Arbeitgebers. Dem Betriebsverfassungsrecht fehlen bis dato adäquate Möglichkeiten auf den digitalen Wandel in der Praxis zu reagieren und diesen umzusetzen.
ANTRAG DER CDU/CSU BUNDESTAGSFRAKTION
Anfang November 2023 wurde im Ausschuss für Arbeit und Soziales ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion (Drs. 20/4335) diskutiert, der Forderungen nach mehr Integration von digitalen Möglichkeiten für die Betriebsratsarbeit enthält. Online-Betriebsratswahlen sollen als optionales Regelverfahren eingeführt und die Präsenzpflicht soll sowohl bei Betriebsratsversammlungen als auch bei Beratungsgesprächen vor der Einigungsstelle aufgeweicht werden. Statt zwingender physischer Anwesenheit soll das Gesetz zukünftig auch die Video-Präsenz als ausreichend ansehen. Die öffentliche Anhörung über diesen Antrag zeigte, dass die Meinungen zu diesen Forderungen durchaus gespalten sind. Auch wenn den Experten die Notwendigkeit einer digitalen Anpassung überwiegend bewusst zu sein scheint, gibt es weiterhin Stimmen, die von der erheblichen Bedeutung der analogen Betriebsratsarbeit nicht abrücken wollen.
Impuls für die Digitalisierungsdebatte aus Erfurt: Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu digitalen Bewerbungsunterlagen
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit seiner kürzlich veröffentlichten Entscheidung (Az. 1 ABR 28/22) einen wichtigen Beitrag für die Digitalisierung der Betriebsratsarbeit geleistet. Das Gericht stellte fest, dass die Zurverfügungstellung von Bewerbungsunterlagen an den Betriebsrat im Rahmen des Unterrichtungsverfahrens (§ 99 Abs. 1 BetrVG) auch digital erfolgen darf. Der Betriebsrat vertrat in dem zugrundeliegenden Verfahren die Position, nicht ordnungsgemäß nach § 99 Abs. 1 BetrVG unterrichtet worden zu sein, da ihm die Bewerbungsunterlagen nicht in Papierform, sondern lediglich digital zur Verfügung gestellt wurden. Er verweigerte daher die Zustimmung. Das BAG bejahte den Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin. Die Arbeitgeberin habe die Anforderungen an die Unterrichtungs- und Vorlagepflicht erfüllt, indem sie dem Betriebsrat für die Dauer des Zustimmungsverfahrens ein auf die digital vorhandenen Bewerbungsunterlagen bezogenes Einsichts- und Leserecht gewährte, das dieser mithilfe von Laptops jederzeit nutzen konnte. Das BAG äußerte sich bemerkenswerterweise auch zu einer gesetzlichen Verankerung dieser digitalen Möglichkeiten in § 99 Abs. 1 BetrVG. Eine solche sei nicht notwendig, da § 99 Abs. 1 BetrVG bereits die Vorlage von Bewerbungsunterlagen in digitaler Form ermögliche. Zwar würde die digitale Form nicht ausdrücklich genannt, allerdings habe der Gesetzgeber den Bedarf der Digitalisierung der Betriebsratsarbeit bereits erkannt und im Betriebsrätemodernisierungsgesetz umgesetzt (Gesetz vom 14. Juni 2021). Dass in diesem Zuge der § 99 BetrVG nicht geändert worden sei, zeige, dass der Gesetzgeber die Norm im Hinblick auf die Digitalisierung bereits für „ausreichend“ halte.
PRAXISHINWEIS
Die Entscheidung des BAG ist zu begrüßen. Sie gibt klare Hinweise, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber den Betriebsrat mittels digitaler Unterlagen gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG unterrichten darf: Dem Betriebsrat ist ein auf die digital vorhandenen Bewerbungsunterlagen bezogenes Einsichts- und Leserecht zu gewähren. Er muss die Möglichkeit haben, für die Dauer der gesetzlichen Entscheidungsfrist über das Zustimmungsgesuch jederzeit auf die digitalen Unterlagen zuzugreifen; vorliegend wurde dies über Laptops garantiert.
Ob der Gesetzgeber weitere digitale Möglichkeiten gesetzlich verankern wird, ist derzeit nicht absehbar. Seit der Anhörung im November 2023 wurde jedenfalls der CDU/CSU-Antrag in Berlin nicht mehr thematisiert. Es bleibt abzuwarten, ob die Entscheidung des BAG neuen Schwung in die Debatte bringt.