Gruppenversicherungen auf dem Prüfstand
Urteil des EuGH: Keine Ausnahme von Erlaubnispflicht bei Entgelt für Beitritte zu echten Gruppenversicherungen
Wer Beitritte zu sog. echten Gruppenversicherungen vermittelt hat, konnte sich bis vor nicht allzu langer Zeit weitgehend darauf verlassen, dass er keine erlaubnispflichtige Versicherungsvermittlung betreibt; das war weitgehend anerkannt. Als Argument diente die Überlegung, dass keine Versicherungsvermittlung stattfinde, wenn Versicherungsnehmer und Vermittler dieselbe Person sind. Seit einem Urteil des EuGH im September 2022, das auf eine entsprechende Vorlage des BGH zurückgeht, steht fest, dass dieses Argument jedenfalls dann nicht mehr tragfähig ist, wenn der als Gruppenspitze fungierende Versicherungsnehmer für freiwillige Beitritte ein Entgelt erhält. Es spielt dabei keine Rolle, ob der Beitretende oder der Versicherer das Entgelt zahlt.
Reichweite des EuGH-Urteils zu echten Gruppenversicherungen: Offene Fragen
Gruppenspitzen und Versicherer haben seitdem für ihre konkreten Gestaltungen die Frage nach der Reichweite der Entscheidung des EuGH zu prüfen und zu beantworten. Mit der Entscheidung ist nämlich manches, bei weitem aber nicht alles geklärt und einige Fragen offen. So profitieren Vereinsmitglieder beispielsweise häufig von Versicherungsschutz, in den sie im Wege eines von dem Verein als Gruppenspitze abgeschlossenen Gruppenversicherungsvertrag automatisch einbezogen sind und der aus dem Mitgliedsbeitrag finanziert wird. Erzielt der Verein aus der Versicherung seiner Mitglieder Erträge, so hat er für sich zu beurteilen, ob er nunmehr erlaubnispflichtige Versicherungsvermittlung betreibt. Auch Arbeitgeber bieten ihren Arbeitnehmern häufig Versicherungsschutz über Gruppenversicherungsverträge in unterschiedlichen Gestaltungen an. Im Einzelhandel wird Verbrauchern nicht selten die Versicherung von Kaufgegenständen gegen bestimmte Risiken durch Gruppenversicherungen angeboten und damit geworben. Wie diese Fälle im Lichte der EuGH-Entscheidung zu bewerten sind, ist juristisch zu klären und ggfs. auch mit den Aufsichtsbehörden, mit denen wir in Kontakt stehen, abzustimmen.
Bewertung von Gruppenversicherungsstrukturen in Deutschland
Klar ist: Sowohl Versicherungsnehmer als auch Versicherer haben ihre Gestaltungen vor dem Hintergrund der Erkenntnisse aus der Entscheidung des EuGH zu bewerten. Für die Versicherungsnehmer geht es dabei insbesondere darum, sich Klarheit über die Erlaubnisfreiheit bzw. die Erlaubnispflicht der Einbeziehung ihrer Gruppenmitglieder in den Gruppenversicherungsvertrag zu verschaffen; für Versicherer geht es insbesondere darum, weiterhin die aufsichtsrechtliche Anforderung zu erfüllen, wonach ihre Versicherungen nur von Personen vertrieben werden dürfen, die über die notwendigen gewerberechtlichen Erlaubnisse verfügen. Ergibt die Bewertung, dass die konkrete Gestaltung zumindest dem Risiko einer Erlaubnispflicht unterliegt, so ist jedenfalls denkbar, dass sich dies durch Anpassungen verhindern oder minimieren lässt.
Die Entscheidung des EuGH birgt auch das Risiko einer Sanktionierung von Gruppenversicherungsnehmern und Versicherungsunternehmen: Die Vermittlung eines „Abschlusses“ von Versicherungsverträgen ohne entsprechende Erlaubnis ist als Ordnungswidrigkeit sanktionierbar (bei „beharrlichem Wiederholen“ auch als Straftat). Für Versicherungsunternehmen stellt die Zusammenarbeit mit Versicherungsvermittlern ohne Erlaubnis eine Ordnungswidrigkeit dar. Zwar bestehen gute Gründe anzunehmen, dass der Beitritt einer Person zu einer Gruppenversicherung keinen Abschluss eines Versicherungsvertrages darstellt und eine Sanktionierung unter dem aktuellen Gesetzeswortlaut jedenfalls am Analogierverbot scheitert; gleichwohl verbleibt unter Umständen das Risiko einer abweichenden behördlichen oder gerichtlichen Entscheidungspraxis.
Das Gesetz zur Modernisierung des Versicherungsteuerrechts vom 3. Dezember 2020 brachte erhebliche Auswirkungen auf die Versicherungs-/ Rückversicherungsindustrie und die versicherungsnehmende Wirtschaft mit sich. Auch diese müssen bei Gruppenversicherungen bedacht werden, wo es nach wie vor durchaus signifikante EWR-weite Friktionen in der Beurteilung der Risikobelegenheit bei Gruppenversicherungen gibt.
Unsere Rechtsexpertinnen und -experten sind verlässlich an Ihrer Seite in einer hochdynamischen Branche
Bei der Bewertung Ihrer konkreten Gestaltungen und dem Entwickeln möglicher Lösungen helfen Ihnen unsere Expertinnen und Experten von DLA Piper mit ihrer jahrelangen Expertise und Branchenerfahrung, aber auch in der Abklärung mit den Aufsichtsbehörden.