Zum Einstieg Lesezeichen hinzufügen

22. Juli 2021Lesedauer 10 Minuten

Das deutsche Lieferkettengesetz – neuer Standard für menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten globaler Lieferketten

Im globalisierten Handel erstrecken sich die Wertschöpfungs- und Lieferketten über die gesamte Welt. Internationale Konzerne, die sich nicht freiwillig an Menschenrechts- und Umweltstandards entlang ihrer Lieferkette halten (83-87 Prozent der deutschen Unternehmen, laut der Gesetzesbegründung zum Lieferkettengesetz), stehen seit längerem in der Kritik, schwache und schlecht durchgesetzte nationale Regelungen in Schwellen- und Entwicklungsländern, insbesondere im Globalen Süden, auszunutzen. Die Forderung nach der Einhaltung dieser Standards durch die Unternehmen wird durch die Tatsache unterstrichen, dass nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation weltweit 25 Millionen Menschen Opfer von Zwangsarbeit sind und auch die weltweiten Umweltschäden nach Angaben der UN stetig zunehmen. Vor diesem Hintergrund und infolge des tragischen Einsturzes der Textilfabrik Rana-Plaza in Bangladesch im Jahr 2013, bei dem über 1.000 Menschen ums Leben kamen, bestätigte sich die Notwendigkeit für den deutschen Gesetzgeber, ein rechtlich verbindliches und strengeres Haftungsregime für Unternehmenslieferketten zu etablieren. Im Juni 2021 haben daher Bundestag und Bundesrat das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ (Lieferkettengesetz) verabschiedet. Das Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen, die ihre Produkte und Dienstleistungen über Lieferketten aus Entwicklungs- und Schwellenländern beziehen und in Deutschland absetzen, in erheblichem Umfang zur Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards und setzt sie bei Verstößen einer potenziell schwerwiegenden Haftung aus.

Dieser Artikel beleuchtet die wichtigsten Aspekte des neuen deutschen Lieferkettengesetzes.

Anwendungsbereich

Das Gesetz wird am 1. Januar 2023 in Kraft treten. Der Anwendungsbereich des Lieferkettengesetzes gilt zunächst für Personen- und Kapitalgesellschaften, die ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung, ihren Verwaltungssitz oder ihren satzungsmäßigen Sitz in Deutschland haben und konzernweit mehr als 3.000 Mitarbeiter beschäftigen. Ab 2024 wird das Lieferkettengesetz auch für kleinere Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern gelten.

Nach dem Lieferkettengesetz umfasst eine Lieferkette alle Schritte im In- und Ausland (eigener Geschäftsbereich; unmittelbare und mittelbare Zulieferer), die zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistungen eines Unternehmens erforderlich sind – angefangen von der Gewinnung der Rohstoffe bis zur Lieferung an den Endkunden. Auch Finanzdienstleistungen werden nach der Gesetzesbegründung vom Lieferkettengesetz erfasst, denn durch eine große Investition oder Kreditvergabe, werden weitere Produktionsprozesse freigesetzt.

Anforderungen und Auswirkungen für Unternehmen

Nach dem Lieferkettengesetz erstreckt sich die Verantwortung der Unternehmen auf die gesamte Lieferkette, abgestuft nach dem Grad ihrer Einflussmöglichkeiten. Die Verpflichtungen nach dem Lieferkettengesetz müssen von den Unternehmen zunächst im eigenen Geschäftsbereich sowie gegenüber ihren unmittelbaren Zulieferern vollumfänglich umgesetzt werden. Mittelbare Zulieferer werden hingegen nur dann in die Verpflichtungen nach dem Lieferkettengesetz einbezogen, wenn die endabnehmenden Unternehmen auf dieser Stufe „substantiierte Kenntnis“ von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltverstößen erlangen.

Das Kernstück des neuen Lieferkettengesetzes ist die Regelung von menschenrechtlichen und ökologischen Sorgfaltspflichten für Unternehmen. Die neuen Sorgfaltspflichten umfassen:

Risikomanagement

In einem ersten Schritt müssen Unternehmen ihre Risiken innerhalb ihrer Lieferketten analysieren und bewerten, um geeignete Maßnahmen zur Bewältigung dieser Risiken ergreifen zu können. Das deutsche Lieferkettengesetz identifiziert u.a. die nachfolgenden „Environmental, Social, and [Corporate] Governance (ESG)“-Kriterien: Kinderarbeit, Zwangsarbeit, Arbeitsschutz, problematische Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, die Verletzung der Koalitionsfreiheit, Diskriminierung, Mindestlohn sowie Umweltschäden als relevante Risikobereiche. Die Risikoanalyse muss von den Unternehmen mindestens einmal jährlich als auch anlassbezogen (z.B. bei Einführung eines neuen Produktes / einer neuen Dienstleistung) durchgeführt werden. Im Rahmen ihres Risikomanagements müssen Unternehmen zunächst eine Analyse der eigenen Menschenrechts- und Umweltrisiken sowie der identischen Risiken ihrer unmittelbaren Zulieferer durchführen. In Fällen, in denen eine missbräuchliche Vertragsgestaltung mit dem unmittelbaren Zulieferer getroffen oder ein Umgehungsgeschäft getätigt wurde, wird ein mittelbarer Zulieferer als unmittelbarer Zulieferer angesehen. Darüber hinaus müssen Unternehmen, die substantiierte Kenntnis von einer möglichen Verletzung von Menschenrechten oder Umweltstandards durch einen ihrer mittelbaren Zulieferer erlangen, unverzüglich eine Risikoanalyse für diese Verstöße durchführen. Die Ergebnisse der Risikoanalyse müssen intern an die maßgeblichen Entscheidungsträger – wie z.B. die Geschäftsführung oder die Einkaufsabteilung – kommuniziert und von den Entscheidungsträgern angemessen berücksichtigt werden. Die Unternehmen sind schließlich verpflichtet, einen „Menschenrechtsbeauftragten“ zu benennen, der für die Überwachung des Risikomanagements im Unternehmen verantwortlich ist.

Verpflichtung zur Beseitigung von Menschenrechts- und Umweltverstößen

Als Konsequenz aus der Risikoanalyse müssen Unternehmen Maßnahmen ergreifen, um die festgestellten negativen Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt zu verhindern, zu minimieren und zu beheben. Identifiziert ein Unternehmen im Rahmen einer solchen Analyse ein Risiko, muss die Unternehmensleitung demnach eine Grundsatzerklärung zu ihrer „Menschenrechtsstrategie“ abgeben, um durch Präventivmaßnahmen in der Zukunft negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt zu verhindern. Dies soll gewährleisten, dass die Unternehmensleitung sich durch die Erklärung klar zu der Unterstützung der Menschenrechtsstrategie positioniert. Zu diesen Präventivmaßnahmen zählen insbesondere die Implementierung einer geeigneten Beschaffungsstrategie, die Auswahl der Zulieferer, die Zusicherung eines Zulieferers, dass dieser die menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen Vorgaben einhält, die Vereinbarung angemessener vertraglicher Kontrollmechanismen und die Durchführung risikobasierter Kontrollmaßnahmen. Wenn ein Unternehmen feststellt, dass die Verletzung einer geschützten Rechtsposition eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht, hat es ferner unverzüglich angemessene Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, um diese Verletzung zu verhindern, zu beenden oder zu minimieren. Je näher das Unternehmen mit der drohenden oder bereits eingetretenen Verletzung in Verbindung steht und je mehr es zu ihr beiträgt, desto größer müssen seine Bemühungen sein, die Verletzung zu beenden. In seinem eigenen Geschäftsbereich ist das Unternehmen so eng mit dem Risiko verbunden, dass von ihm erwartet werden kann, die drohende oder bereits eingetretene Verletzung unverzüglich zu beenden. Ist das Unternehmen hingegen bei einem Zulieferer in absehbarer Zeit nicht in der Lage, die Menschenrechts- und Umweltverstöße zu beenden, muss es unverzüglich ein Konzept zu deren Minimierung erstellen und umsetzen: Entweder muss das Unternehmen gemeinsam mit dem Zulieferer, der den Verstoß verursacht hat, einen Plan zur Behebung des Missstandes erarbeiten und umsetzen oder es müssen im Rahmen von Brancheninitiativen und Branchenstandards Lösungen innerhalb der jeweiligen Branche entwickelt werden, um die Einflussmöglichkeit auf den Verursacher zu erhöhen. Alternativ kann das Unternehmen die Geschäftsbeziehung mit dem Lieferanten vorübergehend aussetzen, während Anstrengungen zur Risikominimierung unternommen werden (u. a. Vertragsstrafen, Streichung von Vergabeliste). Die Beendigung von Geschäftsbeziehungen ist als ultima ratio nur bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen durch Zulieferer geboten, die nicht anderweitig behoben werden können. Die Wirksamkeit der Präventiv- und Abhilfemaßnahmen ist jährlich als auch anlassbezogen bei einer wesentlich veränderten Risikolage – u.a. durch Einführung neuer Produkte, Projekte oder eines neuen Geschäftsfeldes – zu überprüfen.

Beschwerdemechanismus

Unternehmen müssen außerdem einen Beschwerdemechanismus für Fehlverhalten in Bezug auf Menschenrechte und Umweltstandards einrichten, das durch die wirtschaftliche Tätigkeiten des Unternehmens oder seiner unmittelbaren oder mittelbaren Zulieferer verursacht wird. Die Beschwerdeverfahren müssen so ausgestaltet sein, dass Personen, die durch solche wirtschaftliche Tätigkeiten in einer geschützten Rechtsposition verletzt sein können sowie Personen, die Kenntnis von einer solchen Verletzung haben (z.B. Nichtregierungsorganisationen), auf diese Risiken oder Verletzungen hinweisen können. Auch die Wirksamkeit des Beschwerdeverfahrens ist von den Unternehmen mindestens einmal im Jahr sowie anlassbezogen zu überprüfen.

Dokumentations- und Berichtspflicht

Die Erfüllung der Sorgfaltspflichten ist unternehmensintern fortlaufend zu dokumentieren und entsprechende Nachweise sind für mindestens sieben Jahre aufzubewahren.

Die betroffenen Unternehmen werden außerdem verpflichtet, jährlich einen Bericht über die tatsächlichen und potenziellen negativen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf Menschenrechte und Umwelt zu erstellen und beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle einzureichen. Der Bericht muss auch darlegen, welche Maßnahmen das Unternehmen ergriffen hat, um seine Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Die Unternehmen müssen den Bericht für einen Zeitraum von sieben Jahren auf ihrer Website öffentlich zugänglich machen.

Bemühenspflicht und Verhältnismäßigkeit

Sowohl die Pflicht zur Risikoanalyse als auch die Pflicht zur Durchführung von Folgemaßnahmen sind nicht als Erfolgspflicht, sondern als Pflicht zur bestmöglichen Anstrengung i.S. einer Bemühenspflicht ausgestaltet. Das heißt, Unternehmen sind nicht verpflichtet, alle Menschenrechts- und Umweltverletzungen im eigenen Geschäftsbereich und bei ihren Zulieferern unter allen Umständen zu verhindern. Vielmehr richtet sich das geforderte Risikomanagement nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Welche Maßnahmen für das einzelne Unternehmen verhältnismäßig und zumutbar sind, hängt insbesondere davon ab, welchen tatsächlichen Einfluss das Unternehmen innerhalb seiner Lieferkette ausüben kann, welche Verursachungsbeiträge zum Menschenrechts- und Umweltrisiko vorliegen und auf welche Länder sich die Lieferkette erstreckt. Eine Beendigung der Geschäftsbeziehung mit einem Zulieferer ist jedoch nur dann erforderlich, wenn die Verletzung von Menschenrechten oder der Umwelt als sehr schwerwiegend eingestuft wird, keine Abhilfe möglich ist und dem Unternehmen keine anderen mildernden Maßnahmen zur Verfügung stehen. Das bedeutet, dass die Anforderungen an die von einem Unternehmen zu ergreifenden Maßnahmen von der Nähe zu und der Möglichkeit der Beeinflussung von Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstößen abhängen.

Überwachung, Bußgelder und Sanktionen

Das Lieferkettengesetz sieht vor, dass das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle die Einhaltung der Sorgfaltspflichten überwacht, die Berichte der Unternehmen überprüft, die erforderlichen Anordnungen und Maßnahmen trifft sowie Vor-Ort-Prüfungen bei Unternehmen durchführt. Es wir nach pflichtgemäßen Ermessen oder auf Antrag tätig, um die Einhaltung der Pflichten nach dem Lieferkettengesetz zu kontrollieren und um Verstöße gegen das Lieferkettengesetz festzustellen, zu beseitigen und zu verhindern. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle wird allerdings nur dann auf Antrag tätig, wenn die antragstellende Person substantiiert geltend macht, infolge der Nichterfüllung einer Pflicht nach dem Lieferkettengesetz durch ein Unternehmen in einer geschützten Rechtsposition verletzt zu sein oder dass eine Verletzung unmittelbar bevorsteht.

Für den Fall, dass ein Unternehmen die Sorgfaltspflichten nach dem Lieferkettengesetz nicht einhält, sieht das Lieferkettengesetz Sanktionen in Form von Zwangsgeldern in Höhe von bis zu 50.000 Euro im Verwaltungszwangsverfahren und/oder Bußgelder vor. Die Höhe der Bußgelder kann bis zu zwei Prozent des weltweiten Umsatzes eines Unternehmens betragen. Grundlage für die Höhe der Geldbuße sind die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens und die Umstände, die für und gegen das Unternehmen sprechen.

Unternehmen, die mit einer hohen Geldbuße belegt wurden, können ferner für bis zu drei Jahre von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden.

Zivilrechtliche Haftung

Nach deutschem Recht haften Unternehmen in der Regel nicht für Schadensersatzansprüche, die im Ausland von anderen Unternehmen ihrer globalen Lieferkette verursacht werden. Das Lieferkettengesetz verleiht jedoch deutschen Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen das Recht, bei Verletzungen von Menschenrechten und Umweltstandards in der Lieferkette deutscher Unternehmen Geschädigte vor deutschen Gerichten zu vertreten (gesetzliche Prozessstandschaft).

Fazit

Das deutsche Lieferkettengesetz ist der erste gesetzgeberische Schritt, um deutsche Unternehmen zum Schutz von Mensch und Umwelt in globalen Lieferketten zu verpflichten. In anderen Staaten, insbesondere in der EU (etwa in den Niederlanden oder Frankreich), existieren bereits vergleichbare Haftungsregelungen. Aufgrund der für diesen Sommer/Herbst erwarteten EU-Lieferkettenrichtlinie ist darüber hinaus mit einer zusätzlichen – wahrscheinlich weitreichenderen – Regulierung von Lieferketten zu rechnen.

Die Einhaltung der im deutschen Lieferkettengesetz geforderten Standards kostet Unternehmen laut einer Studie des „Handelsblatt Research Institutes (HRI)“ einerseits zwar 0,005-0,6 Prozent ihres Jahresumsatzes. Andererseits steigert die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards entlang ihrer Lieferketten aber auch den Wert und die Reputation des Unternehmens, seiner Marken und Warenzeichen sowie der von ihm vertriebenen Produkte und Dienstleistungen. Diese Mehrbelastung für Unternehmen soll zudem durch die Entlastung der Wirtschaft durch das Dritte Bürokratieentlastungsgesetz („One in, one out“-Regelung) kompensiert werden. Durch die Einhaltung der Sorgfaltspflicht unter dem Lieferkettengesetz ist daher zu erwarten, dass sich die Preise für Güter und Dienstleistungen – wenn überhaupt – moderat erhöhen werden.

Um eine Haftung (Bußgelder und Sanktionen) nach dem Lieferkettengesetz zu vermeiden, besteht für Vorstände, Geschäftsführer, Aufsichtsräte, Compliance- und Menschenrechtsbeauftragte nun die anspruchsvolle Aufgabe, den Sorgfaltskanon des Lieferkettengesetzes i.S. einer verantwortungsvollen Unternehmensführung in bestehende Compliance- und Governance-Systeme zu überführen. Dies bedeutet insbesondere, dass Verträge mit Zulieferern an die Anforderungen des Lieferkettengesetzes angepasst werden müssen. Die im Rahmen des Risikomanagements erforderlichen jährlichen und anlassbezogenen Überwachungspflichten sind ferner in den Compliance-Programmen der Unternehmen umzusetzen. Zusätzlich sollten stichprobenartig Vor-Ort-Kontrollen durchgeführt werden. Entscheidende Voraussetzung für ein effektives Risikomanagement ist die Kenntnis der Auswirkungen des eigenen unternehmerischen Handelns auf Mensch und Umwelt, die mit den Geschäftsfeldern, Produkten oder Dienstleistungen des Unternehmens durch eine Geschäftsbeziehung verbunden sind. Unternehmen müssen schließlich einen Beschwerdemechanismus schaffen und sollten Prozesse etablieren, um Menschenrechts- und Umweltverstöße zu beheben und zukünftige Verstöße zu verhindern oder zu minimieren.

Print