Zum Einstieg Lesezeichen hinzufügen

Abstract_Architectural_Red_Wave
21. Juni 2024Lesedauer 3 Minuten

Update zur Unwirksamkeit der Kündigungen bei Fehlern im Massenentlassungsanzeigeverfahren

Auch der Sechste Senat des BAG ruft EuGH mit Vorabentscheidungsersuchen an

Ob Fehler im Massenentlassungsanzeigeverfahren zwangsläufig zur Unwirksamkeit der Kündigungen führen, ist aktuell ein großes Thema beim Bundesarbeitsgericht (BAG). Welchen Weg das BAG künftig gehen wird, hängt nun einmal mehr von der Auslegung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ab. Denn nachdem der Zweite Senat im Februar 2024 bereits Rechtsfragen zur europäischen Massenentlassungsrichtlinie dem EuGH zur Auslegung vorgelegt hatte (hierüber haben wir hier berichtet), wendete sich nun auch der Sechste Senat mit Auslegungsfragen zum Massenentlassungsverfahren an den EuGH und ergänzte damit die Vorlagefragen des Zweiten Senats.

 

Hintergrund und Vorlagefragen des Zweiten Senats

Ende letzten Jahres fragte der Sechste Senat des BAG beim Zweiten Senat eine Rechtsprechungsänderung hinsichtlich der strengen Folgen bei Fehlern im Massenentlassungsanzeigeverfahren an.

Statt eine eigene Entscheidung zum angefragten Rechtsprechungswechsel zu treffen, entschied sich der Zweite Senat mit Beschluss vom 1. Februar 2024 (Az. 2 AS 22/23 (A)) für ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH.

Der Vorlagebeschluss des Zweiten Senats an den EuGH bezog sich auf die Auslegung der Massenentlassungsrichtlinie1 (MERL). Angefragt wurde unterem anderen, wann eine Kündigung im Rahmen einer Massenentlassung wirksam wird, ob dafür eine (fehlerfreie) Massenentlassungsanzeige erforderlich ist, ob eine zunächst fehlerhafte Massenentlassungsanzeige geheilt werden kann und ob die nationalen Arbeitsagenturen abschließend bewerten können, ob eine wirksame Massenentlassungsanzeige vorliegt.

Der Zweite Senat vertrat dabei die Auffassung, es müsse unterschieden werden, ob überhaupt keine oder „nur“ eine fehlerhafte Massenentlassungsanzeige vorläge.

 

Vorlage des Sechsten Senats

Mit Beschluss vom 23. Mai 2024 (Az. 6 AZR 152/22 (A)) hat der Sechste Senat den EuGH nun um eine eigene Vorabentscheidung ersucht. Hintergrund des eigenen Vorlagebeschlusses des Sechsten Senats sind wohl Zweifel an der Vorlagekompetenz des Zweiten Senats aufgrund der ungewöhnlichen prozessualen Situation (Vorabentscheidungsverfahren im Rahmen einer Rechtsprechungsänderungsanfrage zwischen den Senaten des BAG). Die Vorlagefragen des

Sechsten Senats stimmen im Wesentlichen mit den Vorlagefragen des Zweiten Senats überein. Sie beziehen sich auf den Beurteilungsspielraum der nationalen Arbeitsagenturen bei der Frage, ob das Massenentlassungsanzeigeverfahren erfolgreich durchgeführt wurde, sowie auf die Frage, ob eine fehlerhafte Massenentlassungsanzeige geheilt werden kann. Zudem fragt der Sechste Senat eine Klarstellung zum Verhältnis der Regelungen in Art. 4 Abs. 1 MERL und Art. 6 MERL an. Während Art. 4 Abs. 1 MERL eine Entlassungssperre für die Dauer des Massenentlassungsanzeigeverfahrens vorsieht, dem nach Auffassung des Sechsten Senats aufgrund seines arbeitsmarktpolitischen Zwecks keine Sanktion für Fehler im Anzeigeverfahren entnommen werden kann, statuiert Art. 6 MERL, dass die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens von Seiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überprüft werden können muss.

 

Praxishinweis

Im Ergebnis erwartet das BAG nun Antworten auf folgende für die Wirksamkeit einer Kündigung relevanten Fragen:

  • Hat eine objektiv fehlerhafte Massenentlassungsanzeige stets zur Folge, dass die nachfolgende Kündigung unwirksam ist?
  • Gilt dies auch, wenn die (zuständige) nationale Arbeitsagentur die Massenentlassungsanzeige nicht beanstandet?
  • Kann eine objektiv fehlerhafte Massenentlassungsanzeige nach Zugang der Kündigung geheilt bzw. eine fehlende Massenentlassungsanzeige nachgeholt werden, mit der Folge, dass die Kündigung wirksam wird?

Eine Auflockerung der bisher strengen Folgen bei Fehlern im Massenentlassungsanzeigeverfahren wäre zu begrüßen. Ob und wenn ja, in welchem Umfang eine Rechtsprechungsänderung des BAG in Zukunft zu erwarten ist, hängt davon ab, wie der EuGH sich zu den vorgelegten Fragen äußern wird und ob der Zweite Senat dann einer Rechtsprechungsänderung, wie vom Sechsten Senat angefragt, zustimmt. Bis dahin sind die bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze, wonach Fehler im Massenentlassungsanzeigeverfahren zur Unwirksamkeit der Kündigungen führen, weiterhin anzuwenden.


1 Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen, dort Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 und Art. 6.