Zum Einstieg Lesezeichen hinzufügen

Abstract_Building_S_0235
8. März 2024Lesedauer 3 Minuten

Update: BAG legt Entscheidung bezüglich Unwirksamkeit der Kündigungen bei Fehlern im Massenentlassungsanzeigeverfahren beim EuGH vor

Keine Unwirksamkeit von Kündigungen bei Fehlern im Massenentlassungsanzeigeverfahren? Zum Jahresende 2023 ging bereits ein Aufatmen durch die Reihen der Arbeitgeber, als der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in seinem Beschluss vom 14. Dezember 2023 beim Zweiten Senat eine Rechtsprechungsänderung hinsichtlich der strengen Folgen bei Fehlern im Massenentlassungsanzeigeverfahren anfragte. Über diesen Beschluss haben wir bereits hier berichtet.

Nun bleibt die Spannung jedoch bestehen: Der Zweite Senat hat in seinem Beschluss vom 1. Februar 2024 (Az. 2 AS 22/23 (A)) entschieden, dass er diese Frage nicht selbst beantworten kann und die Entscheidung dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt.

 

Hintergrund des Vorlagebeschlusses

Bisher birgt das Massenentlassungsverfahren große Risiken für Arbeitgeber: Auch kleinere Fehler im formalisierten Massenentlassungsanzeigeverfahren können sich schwerwiegend auf die ausgesprochenen Kündigungen auswirken und diese unwirksam werden lassen. Ein möglicher Richtungswechsel wurde 2022 vom Sechsten Senat eingeläutet.

Dem jetzigen Vorlagebeschluss vorausgegangen war eine Vorlageverfahren des Sechsten Senats (Az. 6 AZR 155/21). Dieser hatte den EuGH zur Frage angerufen, welchem Zweck die Übermittlungspflicht nach Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Massenentlassungsrichtlinie (MERL) dient, der in Deutschland im § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG umgesetzt ist. Am 13. Juli 2023 (Az. C-134/22) stellte der EuGH klar, dass die Vorschrift nicht dem individuellen Arbeitnehmerschutz dient, sondern den zuständigen Behörden ermöglichen soll, sich auf die freiwerdenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einzustellen.

Der Sechste Senat fragte daraufhin beim Zweiten Senat an, ob dieser an seiner Rechtsprechung festhalten wolle, dass Kündigungen bei Fehlern bei der Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 1 und Abs. 3 KSchG unwirksam seien.

 

Vorlagebeschluss des Zweiten Senats

Statt einer direkten Antwort hat der Zweite Senat die Frage nun wieder vor den EuGH gebracht. Die Vorlagefragen des Beschlusses beziehen sich unter anderem darauf, ob das Vorliegen einer den Vorgaben der Richtlinie entsprechenden Massenentlassungsanzeige Voraussetzung für das Ablaufen der Entlassungssperre ist und ob eine unwirksame Massenentlassungsanzeige durch den Arbeitgeber noch nachgeholt werden kann.

Der Zweite Senat führt aus, dass er es durchaus für möglich hält, dass die Nichtigkeit einer ohne ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige erklärten Kündigung eine unverhältnismäßige Rechtsfolge ist. Allerdings nimmt der Zweite Senat eine deutlich differenziertere Betrachtung vor. Die Auffassung des Sechsten Senats, wonach das Fehlen oder die Fehlerhaftigkeit einer erforderlichen Massenentlassungsanzeige keinerlei rechtlichen Einfluss auf die Beendigung des gekündigten Arbeitsverhältnisses haben soll, hält der Zweite Senat für unionsrechtswidrig. Entscheidend sei, ob überhaupt keine oder „nur“ eine fehlerhafte Massenentlassungsanzeige vorläge.

Bis zur Klärung der Vorlagefragen hat der Zweite Senat das Anfrageverfahren des Sechsten Senats ausgesetzt.

 

Praxishinweis

Der Vorlagebeschluss des Zweiten Senats nimmt die Hoffnung auf eine schnelle Klärung der Rechtsfrage und dürfte an der Praxis in absehbarer Zukunft erstmal nichts ändern. Zu beachten ist weiterhin, dass sich auch die Anfrage des Zweiten Senats nur auf die Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 1 und Abs. 3 KSchG bezieht. Fehler im Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG sind von den Entwicklungen der Rechtsprechung nicht eingeschlossen – soweit bleibt die Rechtslage unverändert.

Ausführlicher Beitrag von Rechtsanwalt Professor Dr. Michael Fuhlrott und Rechtsanwältin Dr. Katharina Fischer mit dem Titel „Wirksame Kündigungen ohne vorherige Massenentlassungsanzeige?“ in der NZA 2024, 246 (kostenpflichtig).