Zum Einstieg Lesezeichen hinzufügen

Abstract_Building_P_0036
20. November 2024Lesedauer 5 Minuten

Ungleiches Einkommen: Bis dass der Tod uns scheidet

Er ist ein Dauerbrenner in sozialen Netzwerken, der Politik und Unternehmen: Der „Gender Pay Gap“. Infolge der EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz (RICHTLINIE (EU) 2023/970 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 10. Mai 2023 zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Entgelttransparenz und Durchsetzungsmechanismen), welche der deutsche Gesetzgeber bis Mitte 2026 in nationales Recht umgesetzt haben muss, wurde zu diesem Thema in jüngster Vergangenheit zahlreich veröffentlicht. Die Anforderungen an Arbeitgeber zur Sicherstellung der Gleichheit zwischen den Geschlechtern sind mit der Richtlinie (EU) 2023/970 noch einmal gestiegen. Dies wird aus allen Beiträgen ersichtlich.

Hauptthemen sind hier: Entgelttransparenz auch für Stellenbewerberinnen und Stellenbewerber, Auskunftsansprüche im laufenden Arbeitsverhältnis zur Entgeltgestaltung im Unternehmen, Berichterstattung über Entgeltgefälle in Unternehmen mit über 100 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gegenüber einer öffentlichen Stelle; Anspruch auf Entschädigung bei Beweislast des Arbeitgebers.

Was die meisten Beiträge zur Entgeltgleichheit im laufenden Arbeitsverhältnis nicht thematisieren: Logische Folge des „Gender Pay Gap“ ist der „Gender Pension Gap“.

Der Gender Pension Gap lag in Deutschland im Jahr 2023 bei 39,4 % (Quelle: Destatis). Frauen beziehen folglich ein um nahezu die Hälfte geringeres Alterssicherungseinkommen als Männer. Für die Feststellung des Gender Pension Gap wird die Personengruppe derjenigen, die das 65. Lebensjahr erreicht haben und deren persönliche Einkünfte auf den drei Säulen des deutschen Alterssicherungssystems (öffentlich-rechtliche Pflichtsysteme, Betriebliche Altersversorgung, Private Vorsorge) beruhen, herangezogen.

Wie aus einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik (FIT) für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) aus dem Jahr 2011 hervorgeht, beruht der Gender Pension Gap jedoch nur geringfügig auf dem Gender Pay Gap. Er beruht vorrangig auf den nachfolgenden Themen.

1. Unterbrechungen im Erwerbsleben

Frauen unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit im Lebensverlauf häufiger. Die Unterbrechungen dauern länger an. Grund hierfür ist ein weiterer „Gap“: Der „Gender Care Gap“. Für Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, Hausarbeit und Ehrenamt wandten Frauen im Jahr 2022 pro Tag im Durchschnitt 44,3 % mehr Zeit auf als Männer (Quelle: Destatis). 

2. Geringere Wochenarbeitszeit

Unter anderem aufgrund der ungleichen Verteilung der „Care-Arbeit“ und des darauf beruhenden Erfordernisses von Verfügbarkeit und Flexibilität im Alltag und in privaten Not-/ Ausnahmefällen arbeiten Frauen in niedrigerer Wochenarbeitszeit als Männer. Während 47,4 % der erwerbstätigen Frauen im Alter von 15 bis 64 Jahren im Jahr 2021 einer Teilzeittätigkeit nachgingen, waren es nur 10,6 % der Männer in dieser Altersgruppe (Quelle: Destatis). 

3. Häufigere Beschäftigung in nicht sozialversicherungspflichtigen (Mini-)Jobs

Infolge der geringeren Wochenarbeitszeit bietet sich für Frauen häufig die bei Steuer und Sozialversicherung privilegierte Beschäftigungsform des Minijobs an. In Verbindung mit dem Ehegattensplitting und der beitragsfreien Mitversicherung in der Kranken- und Pflegeversicherung des Mannes ist dies zwar ein beliebtes Arbeitsmodell. Es eignet sich jedoch nicht für die eigenständige wirtschaftliche Sicherung, geschweige denn für den Aufbau eigenständiger Rentenansprüche. 

4. Private Lebenssituation

Zudem zeigt sich, dass bei verheirateten und verwitweten Personen der Gender Pension Gap mit 63,8 %, bzw. 65,4 % im Jahr 2007 deutlich höher lag als bei geschiedenen oder ledigen Personen mit 18,8 %, bzw. 9 % (Quelle: Studie des FIT).

Der geringere Gap bei Geschiedenen beruht maßgeblich auf zwei Phänomenen: Zum einen sind die eigenen Alterssicherungseinkommen geschiedener Frauen gegenüber verheirateten Frauen höher, da ihnen im Scheidungsfall im Rahmen des Versorgungsausgleichs Rentenanwartschaften ihres Exmannes aus Ehezeiten als eigenes Alterssicherungseinkommen angerechnet werden. Hieraus ergibt sich, dass geschiedene Männer gleichzeitig ein im Vergleich zu verheirateten geringeres eigenes Alterseinkommen haben. So verkleinert sich der Gap bei Geschiedenen.

Ein weiterer wichtiger Faktor beim Gender Pension Gap sind Kinder. Während der Gap bei Verheirateten ohne Kinder im Jahr 2007 bei 48,9 % lag, betrug er bei Verheirateten mit Kindern 64,4 % (Quelle: Studie des FIT).

5. Bildungsgrad

Gemessen an fünf Kategorien von Berufsabschlüssen – angefangen mit „kein Berufsabschluss“ bis hin zu „Hochschulabschluss“ – zeigt sich, dass mit höherem Berufsabschluss der Gender Pension Gap kleiner wird. Während der Gap im Jahr 2007 innerhalb der eigenen Berufsabschluss-Kategorie bei Personen ohne Berufsabschluss bei 58,1 % lag, lag er bei Akademikerinnen und Akademikern bei 35,6 % (Quelle: Studie des FIT).

6. Wohnort

Während in den alten Ländern der Gender Pension Gap nach einer Auswertung aus dem Jahr 2023 bei 43,8% lag, lag er in den neuen Ländern mit 18,6 % deutlich niedriger (Quelle: Destatis).

 

Mit Blick auf die Zukunft ist Folgendes festzustellen:

Positiv ist, dass ein rückläufiger Trend erkennbar ist. Die jüngeren Alterskohorten der Untersuchung des FIT weisen deutlich niedrigere Werte auf als die älteren. Während der im Jahr 2007 festgestellte Gender Pension Gap bei über 80-jährigen noch bei 66,0 % lag, lag er zur gleichen Zeit bei den 65- bis 70-jährigen bei 54,3 %. Im Jahr 2023 lag der Gender Pension Gap bei allen Frauen ab 65 Jahren bei 39,4 %, während er im Jahr 2007 noch bei 59,6 % lag.

Als Empfehlung für die Fortsetzung dieses Trends bis hin zum Schließen des Gender Pay Gaps wurde von der Sachverständigenkommission für den Zweiten Gleichstellungsbericht aus dem Jahr 2017 folgender Vorschlag gemacht: Für Eheleute soll die sogenannte „Errungenschaftsgemeinschaft“ eingeführt werden. Anders als beim gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft (bei dem erst nach Scheidung ein Ausgleich des während der Ehe erwirtschafteten Zugewinns erfolgt) würden Männer und Frauen in der Errungenschaftsgemeinschaft auch während der Ehe Eigentum an den erworbenen Vermögenswerten des jeweils anderen erwerben. Der Vorschlag der Sachverständigenkommission hätte zur Folge, dass bei Renteneintritt sämtliches während der Ehezeit erworbenes Alterssicherungseinkommen gleichmäßig verteilt wäre. Auf diese Weise ließen sich zumindest im Bereich der Ehe patriarchalische Strukturen abbauen. Unterbrechungen im Erwerbsleben, eine geringere Wochenarbeitszeit und die sozialversicherungsfreie Beschäftigungsform wären bei Renteneintritt nicht mehr zum Nachteil der Frau.

Die Zukunft dieses Vorschlags ist ungewiss. Das ungleiche Einkommen hätte so jedenfalls bei jung Verheirateten ein Ende.