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20. August 2024Lesedauer 4 Minuten

Reduzierung des Annahmeverzugslohns aufgrund böswilligen Unterlassens anderweitigen Verdienstes

Ist ein Arbeitnehmer mit seiner Kündigungsschutzklage erfolgreich, ist häufig die Höhe des Annahmeverzugslohns für den Zeitraum, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht beschäftigt hat, streitig. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied kürzlich, dass ein Arbeitnehmer im Nichtbeschäftigungszeitraum nicht völlig untätig sein oder eine Arbeitsvermittlung gar von vornherein torpedieren darf. Anderenfalls muss er sich einen fiktiven Verdienst auf den Annahmeverzugslohn anrechnen lassen. Der Arbeitgeber kann dem Arbeitnehmer Stellenangebote zukommen lassen, um sich im Prozess eine vorteilhafte Position zu verschaffen (BAG, Urteil v. 7. Februar 2024 – 5 AZR 177/23).

 

RECHTLICHE GRUNDLAGEN

Hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in Folge einer unwirksamen Kündigung nicht beschäftigt, so befindet sich der Arbeitgeber für diesen Zeitraum im Annahmeverzug. Der Arbeitnehmer kann vom Arbeitgeber für diese Zeit grundsätzlich den Lohn verlangen, den er bei einer Weiterbeschäftigung verdient hätte. Er muss sich jedoch böswillig unterlassene Verdienste aus zumutbarer Arbeit anrechnen lassen (§ 11 Nr. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)).

 

DER FALL

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis am 23. November 2017 außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Die Kündigungsschutzklage des Klägers war erfolgreich. Der Kläger meldete die Kündigung der Agentur für Arbeit und teilte der Behörde mit, er könne sich bewerben, wenn man ihn zwinge. Er würde aber einen potenziellen neuen Arbeitgeber noch vor einem Vorstellungsgespräch darüber aufklären, dass ein Kündigungsschutzverfahren laufe und er beim vorherigen Arbeitgeber weiterarbeiten wolle. Aufgrund dessen wurden dem Kläger in dieser Zeit keine Stellenangebote unterbreitet. Die Agentur für Arbeit gewährte dem Kläger dennoch Leistungen. Der Kläger trug für die Zeit von Mai bis November 2019 Bewerbungsbemühungen vor, die die Beklagte bestritt. In den Jahren 2019 und 2020 war der Kläger lediglich für jeweils kurze Zeiträume beschäftigt und erzielte insgesamt einen Verdienst unter EUR 5.000.

Die Klage auf Annahmeverzugslohn war in erster und zweiter Instanz erfolgreich. Hiergegen wehrte sich die Beklagte mit der Revision.

 

DIE ENTSCHEIDUNG

Das BAG stellte fest, dass dem Kläger für den in der Revision geltend gemachten Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis zum 30. August 2020 Annahmeverzugslohn zustehe. Allerdings sei die Annahme der Vorinstanz, der Kläger müsse sich keinen Verdienst anrechnen lassen, weil er anderweitigen Erwerb nicht böswillig unterlassen hätte (§ 11 Nr. 2 KSchG), rechtsfehlerhaft. Das BAG verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück an das LAG.

Maßgeblich für die Entscheidung des BAG war, dass die vorherige Instanz die Mitteilung des Klägers an die Agentur für Arbeit, mit der er jegliche Vermittlungsbemühungen von vornherein ausschloss, nicht hinreichend würdigte.

Im Wesentlichen traf das BAG folgende Feststellungen:

  • Der Arbeitgeber muss grundsätzlich beweisen, dass der Arbeitnehmer Verdienst aus zumutbarer Arbeit böswillig unterlassen hat.
  • Der Arbeitnehmer unterlässt böswillig anderen Verdienst, wenn ihm vorzuwerfen ist, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert.
  • Ob eine Böswilligkeit vorliegt, ist nach einer Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung der konkreten Einzelfallumstände zu bestimmen. Der Arbeitnehmer muss dabei vorsätzlich, aber nicht unbedingt absichtlich handeln.
  • Ein schon vor einem Vorstellungsgespräch geäußerter, ungefragter Hinweis auf ein laufendes Gerichtsverfahren entspricht nicht dem Verhalten einer tatsächlich um eine Beschäftigung bemühten Person. Verhindert der Arbeitnehmer durch die Ankündigung eines solchen Verhaltens, dass die Agentur für Arbeit ihm Vermittlungsvorschläge unterbreitet, ist dies für die Beurteilung der Böswilligkeit zu berücksichtigen.
  • Legt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer geeignete Stellenangebote vor, muss sich der Arbeitnehmer hierzu erklären und die Erfolglosigkeit einer Bewerbung beweisen. Kann sich der Arbeitgeber zwar auf geeignete Stellen berufen, legt diese dem Arbeitnehmer jedoch nicht vor, so trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für den Erfolg etwaiger Bewerbungen.

 

PRAXISHINWEIS

Die Entscheidung stellt die Anforderungen der Anrechnung anderweitigen Erwerbs anschaulich dar und stellt klar, dass auch die Vereitelung von Vermittlungsaufgaben durch die Agentur für Arbeit eine Böswilligkeit begründen kann. Zudem zeigt die Entscheidung auf, dass es vorteilhaft sein kann, einem Arbeitnehmer während eines laufenden Kündigungsschutzverfahrens geeignete, d.h. zumutbare, Stellenangebote zukommen zu lassen. Der Arbeitnehmer muss sich dann mit diesen Angeboten auseinandersetzen und trägt die Beweislast für die Erfolglosigkeit einer Bewerbung. So kann auch im Falle eines Unterliegens im Kündigungsschutzverfahren das Kostenrisiko minimiert werden.