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5. August 2024Lesedauer 5 Minuten

Neuregelung der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern: Zweites Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes in Kraft

Die Bundesregierung hatte als Reaktion auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs zur Vergütung von Betriebsratsmitgliedern einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) vorgelegt (BT-Ds. 20/9469). Am 25. Juli 2024 ist das Zweite Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes in Kraft getreten.

Die neuen Regeln für die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern enthalten unter anderem eine Klarstellung und Erweiterung in § 37 Abs. 4 BetrVG. Bislang ist nach ständiger Rechtsprechung der Zeitpunkt unmittelbar vor der erstmaligen Amtsübernahme der Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer. Die Neufassung ermöglicht bei Vorliegen eines sachlichen Grundes eine Neubestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer. Zudem soll durch die Erweiterung des § 78 BertrVG der Rechtsprechung des BAG zu einem fiktiven Beförderungsanspruch Rechnung getragen werden.

 

Grundsätze zur Vergütung von Betriebsratsmitgliedern
  • Die Mitglieder des Betriebsrats führen nach § 37 Abs. 1 BetrVG ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt.
  • Das BetrVG nennt hinsichtlich der Ermittlung des Arbeitsentgelts für die Dauer der Betriebsratstätigkeit zwei Grundsätze: § 37 Abs. 4 BetrVG normiert einen Mindestvergütungsanspruch, § 78 S. 2 BetrVG sieht ein allgemeines Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot, u.a. im Hinblick auf die berufliche Entwicklung und der damit verbundenen Entgeltentwicklung, vor.
  • Der Anspruch auf Zahlung einer höheren Vergütung folgt aus § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. § 78 S. 2 BetrVG.
  • Schon nach bisheriger Rechtsprechung liegt eine Benachteiligung vor, wenn das Betriebsratsmitglied bei Nichtübernahme des Amts und Verbleib im Betrieb eine höhere Vergütung erhalten hätte als es im Rahmen der Betriebsratstätigkeit erhält. Hierbei ist – im Gegensatz zu § 37 Abs. 4 BetrVG – die hypothetische berufliche Entwicklung des Betriebsratsmitglieds entscheidend. Die Höhe des Arbeitsentgelts folgt aus dieser fiktiven Beförderung.1

 

Neue Rechtslage

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 10. Januar 2023 – 6 StR 133/22) sorgte für große Rechtsunsicherheit bei der Anwendung der Vergütungsregelungen des BetrVG. Die Bundesregierung legte daher einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes vor.

§ 37 Abs. 4 BetrVG neue Fassung:

  • § 37 Abs. 4 BetrVG wird dahingehend erweitert, dass hinsichtlich der Bildung der Vergleichsgruppe des Betriebsratsmitglieds mit ähnlichen Arbeitnehmern grundsätzlich die Übernahme des Betriebsratsamts der maßgebliche Zeitpunkt ist. Eine spätere Neubestimmung ist ausnahmsweise möglich, sofern hierfür ein sachlicher Grund besteht.
  • Die sachlichen Gründe werden in der Gesetzesbegründung allerdings nicht konkretisiert. Als einziges Beispiel wird der Fall benannt, dass bei einem Betriebsratsmitglied, das die Anforderungen einer höherdotierten Stelle erfüllt und mit dem Arbeitgeber einen entsprechenden Änderungsvertrag schließt, die Vergleichsgruppe neu zu bestimmen sei.
  • Zudem wird in den neuen Sätzen 4 und 5 klargestellt, dass die Betriebsparteien in einer Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer treffen können. Die in einem solchen Verfahren festgelegte Vergleichsgruppe kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Gleiches gilt für die namentliche Benennung von Vergleichspersonen, die auf der Grundlage des in der Betriebsvereinbarung festgelegten Verfahrens bestimmt werden.

§ 78 BetrVG neue Fassung:

  • Der neue Satz 3 in § 78 BetrVG soll laut der Gesetzesbegründung Kriterien vorgeben, an denen sich die benachteiligungs- und begünstigungsfreie Entgeltgewährung im Rahmen eines fiktiven Beförderungsanspruchs orientieren kann. Hiermit soll der Rechtsprechung des BAG Rechnung getragen werden.
  • Eine Begünstigung oder Benachteiligung eines Betriebsratsmitglieds im Hinblick auf das gezahlte Entgelt liegt nach § 78 S.3 BetrVG n.F. nicht vor, wenn der jeweilige Amtsträger bezogen auf im Betrieb konkret vorhandene Arbeitsplätze die für die Gewährung des Entgelts erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt und die Festlegung nicht ermessensfehlerhaft erfolgt. 
  • Voraussetzungen eines Anspruchs auf höhere Vergütung (§ 611a Abs. 2 BGB i.V.m. § 78 S. 2 BetrVG) sind demnach ein konkreter freie Arbeitsplatz, der dem Amtsinhaber „in betriebsüblichem Vorgehen“ 2 angeboten wurde und dessen Qualifikationsanforderungen das Betriebsratsmitglied erfüllt. Zudem muss das Betriebsratsmitglied nach der Gesetzesbegründung die ausgeschriebene Stelle tatsächlich erhalten; im Fall eines freigestellten Betriebsratsmitglieds führt dies regelmäßig zu einer Doppelbesetzung. Aus dem bisherigen fiktiven Beförderungsanspruch wird hiermit eine tatsächliche Beförderung.
  • In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, dass bei der Stellenbesetzung auch die durch und während der Amtstätigkeit erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Qualifikationen Berücksichtigung finden sollen, soweit sie im Unternehmen auch außerhalb des Betriebsratsamts für die jeweilige Stelle karriere- und vergütungsrelevant seien. Die Berücksichtigung entsprechender Kenntnisse war bislang hoch umstritten, da sie zu einer Sonderkarriere führen können.
  • Der Prüfungsmaßstab im Hinblick auf einen Verstoß gegen das Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot ist eingeschränkt: Ein Verstoß liegt nur vor, wenn die die Festlegung des hypothetischen Gehalts ermessensfehlerhaft erfolgt.

 

Praxishinweis und Ausblick

Zu begrüßen ist die Möglichkeit der Betriebsparteien, eigene betriebliche Regelungen im Hinblick auf konkrete Vergleichsgruppen und abstrakte Vergleichskriterien zu vereinbaren (§ 37 Abs. 4 BetrVG n.F.). Welche Kriterien, neben denen von der Rechtsprechung bereits gefundenen, in der Zukunft einen sachlichen Grund für eine spätere Neubestimmung darstellen werden, wird in der Praxis von den Gerichten beantwortet werden müssen. Auch die Frage, wie genau Arbeitgeber die während der Amtstätigkeit erworbenen Kenntnissen im Einzelfall berücksichtigen dürfen (§ 78 BetrVG n.F.), wird sich erst durch die Rechtsprechung konkretisieren. Gleiches gilt für die Ausfüllung der Rechtbegriffe „ermessensfehlerhaft“ (§ 78 S. 3 BetrVG n.F.) und „grobe Fehlerhaftigkeit“ (§ 37 Abs. 4 S. 5 BetrVG n.F.).

Read the English version here.


BAG, Urteil vom 22. Januar 2020 – 7 AZR 222/19.
BT-Ds. 20/9469, Gesetzesbegründung, S. 12.