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3. Juli 2024Lesedauer 4 Minuten

Tarifliche Eingruppierung und Rückgruppierung: Begrenzter Vertrauensschutz des Arbeitnehmers

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) räumte in einem Eingruppierungsrechtsstreit – entsprechend seiner bisherigen Rechtsprechungspraxis1 – der betroffenen Arbeitnehmerin einen begrenzten Vertrauensschutz im Hinblick auf die von der Arbeitgeberin vorgenommene Eingruppierung ein (Urteil vom 13. Dezember 2023 – 4 AZR 322/22). Außerdem stellte das Gericht klar, dass die Höhergruppierung auf Grundlage eines neuen Tätigkeitsmerkmals der Anlage 1 (Entgeltordnung) zum Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) / Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) eine erstmalige Eingruppierungsentscheidung darstelle; auf diese können die Grundsätze zur wiederholten korrigierenden Rückgruppierung nicht angewendet werden.

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist als Ergotherapeutin in einer Klinik der Beklagten beschäftigt. Im Arbeitsvertrag war eine Eingruppierung in Entgeltgruppe 8 des TVöD vereinbart. Auf einen Antrag der Klägerin auf Höhergruppierung nahm die Arbeitgeberin im Februar 2018 eine rückwirkende Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9b ab dem 1. Januar 2017 vor. Diese Zuordnung wurde auf Grundlage des neuen Tätigkeitsmerkmals der Entgeltgruppe 9 b der Anlage 1 zum TVöD/VKA vorgenommen, die am 1. Januar 2017 in Kraft trat. Kurz darauf teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie mit Wirkung zum 1. Juli 2019 eine korrigierende Rückgruppierung der Klägerin in die Entgeltgruppe 9a vornehmen werde. Zur Begründung führte die Arbeitgeberin aus, dass die tarifliche Anforderung der Entgeltgruppe 9b voraussetze, dass die Tätigkeit zeitlich mindestens zur Hälfte der Arbeitszeit solche Patienten betrifft, die zum Zeitpunkt der ergotherapeutischen Behandlung an Demenz erkrankt sind. Zum streitgegenständlichen Zeitpunkt hätten jedoch nur 8,5% der Patientinnen und Patienten der Klägerin an einer Demenzerkrankung gelitten. Die Höhergruppierung sei daher fehlerhaft erfolgt und zu korrigieren.

 

Rechtliche Grundlagen

Die Angabe einer Entgeltgruppe im Arbeitsvertrag oder in der Eingruppierungsmitteilung stellt lediglich die Wiedergabe der Entgeltgruppe dar und keinen eigenständigen arbeitsvertraglicher Anspruch auf die bezeichnete Vergütung. Grundsätzlich kann der Arbeitgeber daher eine – von ihm ursprünglich als richtig erachtete – Eingruppierung des Arbeitnehmers korrigieren, wenn er sich auf die objektive Fehlerhaftigkeit der bisherigen tariflichen Bewertung beruft. Die objektive Fehlerhaftigkeit setzt voraus, dass die Vermeidung des aufgezeigten Fehlers dazu führt, dass die mitgeteilte Vergütungsgruppe nicht diejenige ist, in der der Beschäftigte tarifgerecht eingruppiert ist.

 

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG)

Das BAG stellt in seiner Entscheidung klar, dass Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer tariflichen Eingruppierung regelmäßig nur einen begrenzten Vertrauensschutz genießen. Es führt die Auswirkungen des begrenzten Vertrauensschutzes anschaulich aus:

  • Der Arbeitgeber sei aufgrund seiner Sachnähe und Kompetenz verpflichtet, die Eingruppierung sorgfältig und zutreffend vorzunehmen.
  • Diese Sorgfaltspflicht beziehe sich auf die vom Arbeitgeber für die Zuordnung der Tätigkeit des Arbeitnehmers vorzunehmende Bewertung sowie auf die Prüfung des Vorliegens der Anforderungen des konkreten Tätigkeitsmerkmals der Vergütungsordnung.
  • Auf die Richtigkeit gerade dieses Bewertungs- und Zuordnungsvorgangs dürfe ein Beschäftigter vertrauen.
  • Beruft sich daher ein Beschäftigter auf die von dem Arbeitgeber mitgeteilte Entgeltgruppe, obliegt dem Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für die objektive Fehlerhaftigkeit der bisherigen Eingruppierung: Er muss Tatsachen vorbringen, warum und inwieweit die bisherige Eingruppierung verfehlt war.
  • Gelingt dieser Vortrag, ist die korrigierende Rückgruppierung zulässig.

Im Einzelfall kann die Berufung des Arbeitgebers auf die Fehlerhaftigkeit der bisherigen Eingruppierung gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) wegen widersprüchlichen Verhaltens verstoßen. Dies kann etwa bei einer wiederholten korrigierenden Rückgruppierung der Fall sein. Der Arbeitnehmer müsse in einem solchen Fall nicht mehr damit rechnen, dass der Arbeitgeber eine weitere Korrektur zu seinem Nachteil vornimmt.

Das BAG kam zu dem Ergebnis, dass die Beklagte anhand der genannten Maßstäbe eine korrigierende Rückgruppierung vornehmen durfte. Die im Februar 2008 erfolgte Höhergruppierung der Klägerin beruhe nicht auf einer Überprüfung und anschließenden Korrektur einer später für rechtsfehlerhaft erachteten vormaligen Eingruppierung; die Grundsätze zur wiederholten korrigierenden Rückgruppierung können nicht angewendet werden. Die Höhergruppierung stelle vielmehr eine erstmalige Eingruppierungsentscheidung auf Grundlage des neuen Tätigkeitsmerkmals der Entgeltgruppe 9 b TVöD/VKA dar. Sie begründe daher kein über einen begrenzten Vertrauensschutz hinausgehendes gesteigertes Vertrauen.

 

Praxishinweis

Mit dieser Entscheidung setzt das BAG seine Rechtsprechung zur korrigierenden Rückgruppierung fort: Eine Überprüfung und Neufeststellung der Eingruppierung unterliegt den Anforderungen der objektiven Fehlerhaftigkeit; der Arbeitnehmer genießt nur begrenzten Vertrauensschutz. Sofern die Eingruppierung – die später rückgängig gemacht wird – allerdings ein über den begrenzten Vertrauensschutz hinausgehendes gesteigertes Vertrauen begründet, verstößt eine korrigierende Rückgruppierung gegen Treu und Glauben. Da eine wiederholte korrigierende Rückgruppierung bei unveränderter Tätigkeit und Tarifrechtslage regelmäßig treuwidrig ist, gilt es, jede Eingruppierung mit besonderer Sorgfalt zu prüfen.


1BAG v. 27. April 2022 – 4 AZR 463/21; BAG v. 13. Dezember 2017 – 4 AZR 576/16.