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12. Dezember 2024Lesedauer 5 Minuten

Konzernprivileg – eine inhaltsleere Hülle?

Das Bundesarbeitsgericht hat am 12.11.2024 entschieden (Az.: 9 AZR 13/24), dass das Konzernprivileg gem. § 1 III Nr. 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz („AÜG“) bereits dann nicht einschlägig ist und somit die Vorschriften des AÜG zur Anwendung gelangen, wenn Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung eingestellt oder beschäftigt werden. Das BAG legt damit die Vorschrift über die Grenzen des Wortlautes aus. Überlässt ein Unternehmen, welches einem Konzern angehört, einen Arbeitnehmer seit Beginn des Arbeitsverhältnisses über mehrere Jahre einem anderen Konzernunternehmen, sei regelmäßig davon auszugehen, dass die Beschäftigung des Arbeitnehmers zum Zweck der Überlassung erfolgt ist.

 

Sachverhalt

Der Kläger war von Juli 2008 bis Ende April 2020 bei der S. GmbH als Sitzefertiger angestellt, verrichtete seine Tätigkeit aber auf dem Werksgelände eines konzernverbundenen Unternehmens. Der Kläger geht davon aus, dass zwischen ihm und dem Einsatzunternehmen ein Arbeitsvertrag gem. §§10 I, 9 I Ziffer 1a AÜG zustande gekommen war. Er sei von Anfang an unter Verletzung der Vorgaben des AÜG bei dem konzernverbundenen Unternehmen als Leiharbeitnehmer eingesetzt worden. Das beklagte Einsatzunternehmen geht hingegen davon aus, dass der letztlich dauerhafte Einsatz des Klägers auf Basis einer werk- bzw. dienstvertraglichen Zusammenarbeit zwischen den beiden Konzernunternehmen erfolgte. Die Voraussetzungen einer Arbeitnehmerüberlassung seien demnach nicht gegeben, im Übrigen würde bei einer Arbeitnehmerüberlassung das Konzernprivileg gelten.

 

Entscheidung des LAG

Das LAG Niedersachsen (Urteil v. 9.11.2023-5 Sa 180/23-) hielt die Voraussetzungen des Konzernprivilegs gem. § 1 III Nr. 2 AÜG für erfüllt und wies die Klage ab. Die beiden Unternehmen waren konzernverbunden und der Kläger sei nicht zum Zwecke der Überlassung eingestellt und (kumulativ) beschäftigt worden. Eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung sei nicht gegeben, und somit sei kein Arbeitsverhältnis mit dem beklagten Unternehmen zustande gekommen.

Das LAG lässt es ausdrücklich dahinstehen, ob das in § 1 III Nr. 2 AÜG genannte Konzernprivileg europarechtswidrig ist. Die RL 2008/104/EG über Leiharbeit finde keine unmittelbare Anwendung. Das Konzernprivileg des § 1 III Nr. 2 AÜG sei vom Wortlaut und vom Sinn und Zweck, den der nationale Gesetzgeber mit dieser Vorschrift verbunden habe, klar und eindeutig. Eine europarechtskonforme Auslegung dahingehend, dass das „und“ als „oder“ zu lesen sei, sei aus Rechtsgründen unzulässig. Das Konzernprivileg gem. § 1 III Nr. 2 AÜG könne nicht aus Gründen der Europakonformität in sein Gegenteil verkehrt werden. Insbesondere dürfe der Wortlaut der Norm nicht dahingehend ausgelegt werden, dass unabhängig von den Bedingungen der Einstellung jegliche Beschäftigung des in einem konzernangehörigen Unternehmen eingestellten Arbeitnehmers als Leiharbeitnehmer in einem weiteren konzernangehörigen Unternehmen eine Inanspruchnahme des Konzernprivilegs ausschließe. Eine solche Auslegung würde den Willen des nationalen Gesetzgebers vollständig ignorieren und im Ergebnis dazu führen, dass das Konzernprivileg leerlaufe.

 

Pressemitteilung des BAG

Ausweislich der Pressemitteilung hielt die Begründung des LAG der revisionsrechtlichen Prüfung durch den Neunten Senat des BAG nicht stand. Entgegen der Annahme des LAG sei das Konzernprivileg nicht nur dann nicht anwendbar, wenn Einstellung „und“ Beschäftigung zum Zweck der Überlassung erfolgten. Die Konjunktion „und“ in § 1 III Nr. 2 AÜG sei als Aufzählung der bezeichneten Sachverhalte zu verstehen. Nach dem Willen des Gesetzgebers komme das Konzernprivileg auch dann nicht zur Anwendung, wenn der Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung eingestellt „oder“ beschäftigt würde. Dies sei regelmäßig dann der Fall, wenn ein Unternehmen, das einem Konzern angehöre, einen Arbeitnehmer seit Beginn des Arbeitsverhältnisses über mehrere Jahre einem anderen Konzernunternehmen einsetze. Eine solche Praxis indiziere die Beschäftigung zum Zweck der Überlassung.

Das BAG verwies das Verfahren zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG Niedersachsen zurück. Dieses muss nun beurteilen, ob der Kläger tatsächlich den Weisungen der Beklagten unterlag und in die Arbeitsorganisation der Beklagten eingegliedert war.

 

Praxishinweis

Im Ergebnis steigt nach dieser BAG-Entscheidung wohl das Risiko für illegale Arbeitnehmerüberlassung nicht unerheblich, wenn das Unternehmen die Mitarbeiter bei einer Konzerngesellschaft beschäftigt, aber deren Arbeitskraft ausschließlich von einer anderen Gesellschaft innerhalb des Konzerns genutzt wird.

Auch der unternehmensinterne Transfer im internationalen Umfeld wird vor erhebliche Herausforderungen gestellt, hat diese Auslegung doch auch Auswirkungen auf die Rechtsgrundlage einer visafreien Einreise bzw. Visaerteilung im Kontext der Global Mobility in internationalen Konzernen (ICT-Karte, betriebliche Weiterbildung, internationaler Personalaustausch).

Nach der Pressemitteilung hat das BAG weder entschieden, dass das Konzernprivileg europarechtswidrig ist, noch ein Vorlageverfahren beim EuGH eingeleitet. Es scheint jedoch entgegen dem eindeutigen Wortlaut des Konzernprivilegs in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG („wenn der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird“) nicht von einem kumulativen, sondern einem alternativen Tatbestand auszugehen. Der Pressemitteilung ist allerdings nicht zu entnehmen, ob die Entscheidung auch Ausführungen zu der Situation enthält, in welcher der Arbeitnehmer gerade nicht seit Beschäftigungsbeginn als Leiharbeitnehmer eingesetzt wird, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt, beispielsweise aufgrund einer Reorganisation, für ein Konzernunternehmen tätig wird.

In diesem Zusammenhang ist die jüngste Entscheidung des EuGH vom 22.06.2023 (C.427/21) zur Leiharbeitsrichtlinie (RL 2008/104/EG) zu berücksichtigen. Der EuGH stellt in den Entscheidungsgründen (Rn. 44-46) ausdrücklich fest, dass ein Arbeitsverhältnis nur dann in den Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtlinie falle, wenn der Arbeitgeber sowohl bei Abschluss des betreffenden Arbeitsvertrages als auch bei der tatsächlich vorgenommenen Überlassung die Absicht habe, den betreffenden Arbeitnehmer einem entleihenden Unternehmen vorübergehend zur Verfügung zu stellen. Dies sei dann nicht der Fall, wenn der betreffende Arbeitnehmer ursprünglich zur Erledigung von Aufgaben seines Arbeitgebers eingestellt wurde. Insofern fehle es an der erforderlichen Absicht bei Abschluss des betreffenden Arbeitsvertrages, diesen Arbeitnehmer einem entleihenden Unternehmen zur Verfügung zu stellen.

Eine finale Bewertung der Auswirkungen und Empfehlungen für die zukünftige Handhabung lässt sich erst nach Vorliegen der vollständigen Entscheidungsgründe vornehmen. Gleichwohl sollten Unternehmen bereits jetzt eine sorgfältige Überprüfung der Mitarbeitereinsätze im Konzernkontext vornehmen und andere, rechtssichere Vertragsgestaltungen wählen. Zumindest bei Arbeitnehmern, die seit Beginn des Arbeitsverhältnisses über mehrere Jahre bei einem anderen Konzernunternehmen eingesetzt werden, besteht ein hohes Risiko und damit ein akuter Handlungsbedarf.